Deutsche Tüftler haben ein Solarkraftwerk gebaut,
das selbst dann malocht, wenn gar keine Sonne scheint: Es regelt nachts
die Spannung in den Netzen. Die Entwickler behaupten sogar, ihre
Technik mache den Bau neuer Leitungen überflüssig, gegen den so viele
Bürger auf die Straße gehen.
Die deutsche Energiewende ist überall, auch im nordbayerischen
Schwarzach am Main. Am Dienstagabend saß dort ein Mann in einem
weitgehend möbellosen Raum und veranstaltete ein seltsames Experiment.
Der Mann heißt Constantin Wenzlik und ist Geschäftsführer der
Firma Padcon.
Er blickt auf einen Bildschirm, der die Spannung im Stromnetz von
Schwarzach anzeigt. Sie liegt stabil bei rund 232 Volt. Wenzlik ändert
ein paar Einstellungen, und die Kurve reagiert: Im Bruchteil einer
Sekunde sinkt sie auf 230 Volt. Wenzlik wartet, dann tippt er neue Werte
ein. Die Spannung schnellt zurück auf 232 Volt. "Ich habe soeben das
Stromnetz eines 3600-Einwohner-Dorfs manipuliert", jubelt der Mann mit
der Nerd-Brille. "Mit einem Solarkraftwerk."
Das ist umso eindrucksvoller, weil es draußen dunkel ist. Und ein
Sonnenkraftwerk, das nachts arbeitet, ist ja schon etwas Besonderes.
Zwar produziert es im Dunkeln keine Elektrizität, doch es leistet etwas,
das für die Stabilität der Stromversorgung fast genauso wichtig ist: Es
regelt die Spannung in den Netzen. Würde die Spannung nicht reguliert,
hätte das verheerende Folgen. Zahlreiche elektronische Geräte können
dann beschädigt werden - Maschinen zum Beispiel oder Computer, die die
Infrastruktur regeln.
Durch den Atomausstieg aber wird es immer schwieriger, die Spannung
in den Netzen stabil zu halten. Denn diesen Job haben die AKW - bei all
ihren Sicherheitsrisiken - bislang mit Bravour erledigt (Details: siehe
Infobox). Genau in diese Lücke wollen Wenzlik und seinem
Geschäftspartner Bernhard Beck stoßen. Geht es nach ihnen, sollen
künftig immer mehr Solarkraftwerke die Spannung regulieren - und die
deutsche Energiewende dadurch schneller, besser und günstiger machen als
es sich die Regierung bislang ausgemalt hat.
Pimp my Kraftwerk
Beck ist der Chef von Belectric, einem der weltweit größten
Produzenten von Solarkraftwerken, ein kleiner, drahtiger Mann, der
schnell denkt und noch schneller redet. Während Wenzlik die Technik
austüftelt, versucht Beck, sie der Welt zu verkaufen. Er spricht von
einer Revolution, davon, dass die Energiewende neu gedacht werden muss.
Wer das verstehen will, muss Schwarzach am Main verlassen. Auf
Straßen, die an Maisfeldern vorbeiführen, gelangt man zu einer großen
Wiese. Auf dieser stehen, Hunderte Meter weit, Solarmodule in Reih und
Glied. Es ist das Kraftwerk, das Wenzlik von seinem Monitor aus steuern
kann. Mitten auf der Wiese steht ein Container mit laut brummender
Lüftung. In seinem Inneren hängt ein Kasten voller Kabel - jenes Gerät,
das die nächtlichen Experimente der Solar-Tüftler erst ermöglicht.
Es handelt sich um einen sogenannten Wechselrichter. Im Prinzip sind
Wechselrichter simple Geräte. Sie wandeln den Gleichstrom, den eine
Wind- oder Solaranlage erzeugt, in Wechselstrom um und speisen diesen
ins Netz.
Der Wechselrichter in dem Kraftwerk nahe Schwarzach kann weit mehr.
Er gehört zu einer neueren Generation, die auch ohne Sonnenlicht eine
spezielle Art von Energie erzeugen kann: sogenannte
Blindleistung.
Eine Art Phantomstrom, der zwar keine Glühbirnen zum Leuchten bringt,
der aber wie regulärer Strom dazu eingesetzt werden kann, die Spannung
im Stromnetz zu regulieren.
Und zwar in beide Richtungen: Der Wechselrichter kann dem Netz
Blindleistung zuführen oder ihm welche entziehen und damit große
Spannungsschwankungen ausgleichen, in einem Umkreis von mehreren
Kilometern, binnen Zehntelsekunden, rund um die Uhr. Die Pilotanlage in
Schwarzach am Main soll bis Ende des Jahres mit voller Kraft laufen und
die Spannung dann blitzartig um bis zu zehn Volt erhöhen oder senken.
Kampf den Stromtrassen
In kleineren Solar- und Windanlagen wird diese Technologie schon
eingesetzt. Beck verspricht ihr eine große Zukunft. Seine
Solarkraftwerke sollen en passant ein weiteres großes Problem der
Energiewende mitlösen.
In Deutschland sollen in den kommenden Jahren viele neue
Stromleitungen gebaut werden. Denn den Strom, den bislang die
Atomkraftwerke erzeugten, sollen künftig zu einem großen Teil Windparks
auf hoher See produzieren. Die sollen im Norden der Republik entstehen,
die großen deutschen Industriegebiete befinden sich aber im Süden. Es
muss also viel Strom über weite Strecken transportiert werden.
3600 Kilometer Trassen sind nach Schätzung der Deutschen
Energieagentur bis 2020 dazu nötig. Das wird teuer - und stressig. Denn
zahlreiche Bürger wünschen keine neuen Strippen vor ihrer Haustür und
versuchen, den Bau der Leitungen mit allen Mitteln zu blockieren.
Beck sagt nun: Einen Teil der neuen Trassen könne man sich sparen - dank seiner Solarkraftwerke.
Statt Windparks mit einer Leistung von 25 Gigawatt auf See
aufzustellen, fordert er den Bau von Solarkraftwerken mit einer Leistung
von 50 Gigawatt und zusätzliche Windräder an Land: Die Solarkraftwerke
würden genau dort gebaut, wo ihr Strom gebraucht werde; die
Transportwege von Elektrizität bleiben so kurz - was manch neue Trassen
überflüssig mache.
Weitere Trassen sollen gespart werden, indem man aus den vorhandenen
Stromleitungen mehr herausholt. Dabei spielt wieder die Regulierung der
Spannung eine Rolle. Je genauer sie sich in einer Leitung regeln lässt,
desto größere Strommengen kann man darüber transportieren. In Becks
Energievision würde die Kapazität steigen: Schließlich regulieren
Solarkraftwerke entlang wichtiger Leitungen in regelmäßigen Abständen
die Spannung.
Auch Experten halten den Transport größerer Strommengen für technisch
machbar. "Die bestehende Netzinfrastruktur kann noch besser genutzt
werden", sagt Gerald Höfer vom Energieunternehmen N-Ergie, in dessen
Einzugsgebiet Beck und Wenzlik ihre Pilotanlage testen. Die Strommenge
könnte im Idealfall um 10 bis 20 Prozent erhöht werden, sagt Eckhard
Grebe, Technikspezialist beim Netzbetreiber Amprion.
Lob von Experten
Generell loben Experten das Projekt. Die Regulierung der Spannung sei
ein zentrales Problem der Energiewende, sagt Heike Kerber vom Forum
Netztechnik und Netzbetrieb. Je größer der Ökostromanteil an der
Energieversorgung wird, desto größer werde dieses Problem. "Wir müssen
Netze neu denken." Und ein Solarkraftwerk, das die Netze stabilisiert,
sei ein interessanter Denkansatz.
Grebe von Amprion wirft der Bundesregierung im Bereich der
Spannungsregulierung gar Versäumnisse vor. Die Regierung denke zu wenig
darüber nach, welchen Kraftwerksmix man bräuchte, um mit möglichst wenig
neuen Stromleitungen auszukommen, sagt er. Gut, dass das nun andere
täten.
Das sieht man auch im Parlament so. Die CDU-Umweltpolitikerin Maria
Flachsbarth etwa bekam das Projekt bei einer Anhörung im Umweltausschuss
vorgestellt. Sie findet die Idee "spannend", merkt aber an, dass man
die Ausführung noch nicht abschließend beurteilen könne. Das
Bundesumweltministerium, dem das Projekt ebenfalls präsentiert wurde,
nahm keine Stellung. Auch Stephan Kohler, der Chef der halbstaatlichen
Deutschen Energie-Agentur will sich nicht äußern.
Neuer Markt für Wechselrichterfirmen
Manche glauben, dass Ökostrom-Kraftwerke die Spannung in den Netzen
künftig zuverlässig regulieren können. Zum Teil sei solche Technologie
schon bei kleinen Photovoltaik-Dachanlagen und bei Windrädern im
Einsatz, sagt Bernd Engel, Vizepräsident für Technologie beim
Wechselrichterhersteller SMA. Moderne Wechselrichter in großen
Solarkraftwerken seien der nächste logische Schritt.
An Becks großer Energievision dagegen zweifeln viele Wissenschaftler.
Sie glauben weder, dass in Deutschland bald Tausende neue
Solarkraftwerke gebaut werden, noch dass diese den Bau neuer
Stromleitungen signifikant verringern.
Erstens wäre der Bürgerprotest gegen Tausende Solarkraftwerke und
Landwindräder wohl ebenso groß wie der gegen neue Stromtrassen. Zweitens
ist die Wechselrichtertechnik noch nicht ausgereift genug, um ihr
alsbald die Energieversorgung einer großen Industrienation
anzuvertrauen. Schon beim Pilotversuch in Schwarzach gab es immer wieder
Komplikationen; statt wie geplant im August brachten die Solar-Tüftler
ihre Anlage erst im Oktober zum Laufen.
"Für die Energiewende kann nur erprobte Technologie verwendet
werden", sagt Kerber vom Forum Netztechnik. "Das Risiko teurer
Fehlinvestitionen oder technischer Probleme können wir uns nicht
leisten. Sonst wird die deutsche Energiewende keine Erfolgsstory."
Solar- und Windanlagen, die die Stromspannung regulieren, sind also
eher eine etwas fernere Zukunftsvision. Sinnvoll aber sind sie allemal.
Und sollte sich die Technik letztlich durchsetzen, darf nicht nur
Bernhard Beck auf massig neue Aufträge hoffen. Auch Hersteller
entsprechender Wechselrichter könnten einen Nachfrageboom erleben.