Montag, 9. Mai 2011

FTTH in Deutschland – Strategie oder Modellprojekt?

Der weltweite FTTH-Markt wächst und hat sich in Europa bereits zu einem bedeutenden Marktsegment entwickelt. Hierzulande waren bis Ende 2009 lediglich 0,4 bis 0,6 Prozent der Haushalte per FTTH-Technologie ans Netz angeschlossen. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz 16 – und die Prognosen sind wenig positiv. Gegen einen flächendeckenden Ausbau mit Glasfaserzugangsnetzen spreche häufig die fehlende Wirtschaftslichkeit, sagen Experten. Eine Bestandsaufnahme.
Der FTTH-Markt in Europa erreichte laut Analysen der BMP TC Ende 2009 eine Gesamtzahl von 15 Millionen anschließbaren Haushalten gegenüber 5,8 Millionen ein Jahr davor. Das strategische Beratungsunternehmen, das sich seit 1993 den Breitbandthemen und Ultra Breitband-Fragestellungen als neutraler Berater widmet, hat herausgefunden, dass die Mehrheit der FTTH-Kunden in sechs Ländern anzusiedeln ist: Fast 75 Prozent davon befinden sich in Schweden, Italien, Frankreich, Norwegen, Niederlande und Dänemark. Der FTTH-Markt in Europa kennt eine Eigendynamik, die noch durch die Maßnahmen der öffentlichen Hand verstärkt wird. Denn sie hat in vielen Ländern erkannt, dass eine Ultra-Breitbandversorgung (sprich Glasfaser bis zum Teilnehmer) eine der bedeutendsten Faktoren für die Wirtschaft beziehungsweise für die Gesellschaft darstellt. Regierungen in Europa haben dedizierte Programme für die Entwicklung von FTTHInfrastrukturen aufgesetzt – unterstützt durch die EU-Kommission, die mit den neuen Leitlinien zur öffentlichen Finanzierung von Breitbandnetzen und Next-Generation-Access- Infrastrukturen für einheitliche Rahmenbedingungen und für ein Gleichgewicht zwischen Wettbewerb, Subventionen und privaten Investitionen sorgen möchte. Somit planen zum Beispiel Finnland und Estland bis 2015 die Verfügbarkeit von 100 MBit/s-Anschlüssen für jedermann, wobei Finnland den 100 MBit/s-Glasfaseranschluss als Universaldienst (Triple Play) definiert hat. Die deutsche Breitbandstrategie der Bundesregierung sieht vor, dass 75 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2014 über 50 MBit/s-Anschlüsse verfügt. Ein Netz, viele Anbieter Zahlreiche Projekte von Stadtwerken und Kommunen zeigen ebenfalls, dass  FTTH-Strategien schnell und effizient umgesetzt werden können. Insbesondere regionale und oftmals auch kleinere Akteure bauen derzeit mit Nachdruck Glasfasernetze auf. Durch den Impuls der öffentlichen Hand wachsen im Moment die durch öffentliche Gelder angeschlossenen Haushalte schneller als diejenigen der privaten Betreiber, die zumeist durch das regulatorische Umfeld und die Rentabilitätsanforderung eingeschränkt sind. Größtenteils sind die Netze, die so aufgebaut werden, Open Access-Netze. 

Das sind Netze, die diskriminierungsfrei und neutral gegenüber den Anbietern aufgesetzt werden. Damit verfügen Kunden oft über mehrere Dienstanbieter und zwangsläufig innovativere Dienste sowie flexiblere  Tarife. Das bislang gängige Telekommunikations-Geschäftsmodell wird mit Open Access in die drei Ebenen (passive) Netzinfrastruktur, aktive Elemente/Netzbetrieb und Dienstanbieter aufgeteilt. Die Kunden haben somit künftig die Auswahl zwischen mehreren Dienstanbietern über ein und dasselbe Netz. Erste Initiativen und Open Access-Projekte sind vor kurzem in Deutschland aufgekommen. Allerdings sind diese nur vereinzelt vorhanden. 

Open Access – die Vorreiter 

Als Pionier in der Open Access-FTTH Szene gilt „City 2020”, ein Partnerschaftsprojekt der drei Städte Hamm, Lünen und Kamen. Das Investitionsvolumen beträgt zirka 4,3 Millionen. Helinet, ein regionaler Betreiber (37.000 Kunden) ist ein Verbund von verschiedenen lokalen Energieversorgungsunternehmen und begann dieses Netz im Jahr 2009 zu bauen. Ende vergangenen Jahres wurden 4.500 FTTH-Haushalte angeschlossen, geplant ist eine 20-prozentige Durchdringung. In Hamm sind bislang zirka 700 Haushalte angeschlossen. In Schwerte (Westhofen) wurde im Januar 2008 ein anderes FTTH-Projekt angekündigt. Es sollte vorerst 1.800 Haushalte abdecken, innerhalb von fünf Jahren aber die ganze Stadt mit ihren 50.000 Einwohnern. Seit Ende 2008 ist das FTTH-Netz Ruhrnet kommerzialisiert, Ruhrpower als Stadtwerke und lokaler TK-Netzbetreiber ist der Internet-Dienstanbieter. Ende vergangenen Jahres waren 5.000 Haushalte anschließbar – die Kunderate lag bei zirka 60 Prozent. Die Conlinet-Gruppe und die städtische Holding EVV haben im Dezember 2009 die Essen.net zum Zwecke des Ausbaus von Glasfaserhausanschlüssen gegründet. Essen.net will in den kommenden sechs Jahren rund 70 Prozent der Einwohner Essens einen Glasfaseranschluss zur Verfügung stellen. Das neue Unternehmen wird seinen Kunden – unter anderem Vodafone, Versatel, Hansenet, Telekom, Unitymedia und QSC – die Netzinfrastruktur zur Nutzung anbieten. Eine direkte Vermarktung an Endkunden ist nicht vorgesehen.

Insgesamt plant das Unternehmen in Essen 45.000 Glasfaserhausanschlüsse zu verlegen. Um diverse Komplikationen zu vermeiden, wird es mit den Stadtwerken Essen kooperieren und Glasfaser einsetzen, wenn Gas und Wasserleitungen erneuert werden. Bis 2016 werden insgesamt rund 50 Millionen Euro für den Ausbau der Infrastruktur investiert. Im Februar 2009 wurde eine Partnerschaft zwischen Sindelfingen und  Böblingen für den Bau eines neuen FTTH-Open-Access-Netzes geschlossen. Alcatel-Lucent errichtete das Netz mit der GPON-Technologie. Es soll 1.600 Gebäude und 4.000 Einwohner mit schnellem  Internetzugang versorgen. Die Stadtwerke Sindelfingen und Böblingen sind Netzeigentümer, der Open-Access-Netzbetreiber ist die Saarbrücker VSE Net, die zugleich den Sprachund Internetdienst anbietet. 

Die Bekämpfung weißer Flecken Der Bund und die Länder sind sich zunehmend den Anforderungen um Breitband und FTTH bewusst geworden. Allerdings erscheinen die aktuellen Maßnahmen noch spärlich und im internationalen Vergleich relativ unbedeutend. In der Tat hat die Bundesregierung, die 2009 in der nationalen Breitbandstrategie den Akzent auf 1 MBit/s setzt und einen FTTHähnlichen Anschluss von 50 MBit/s für nur 75 Prozent der Bevölkerung bis 2014 vorsieht, bislang den Akzent auf die Versorgung weißer
Flecken gelegt. Ebenso die Länder. Erste FTTHInitiativen sind vorhanden, sind aber bislang lediglich Modellprojekte. Die Strategie des Landes Baden-Württemberg ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert. Im Rahmen seiner Breitbandstrategie hat das Land zwei Piloten – in Sasbach-Walden und in Hohentengen – mit je 2.000 Haushalten eingeleitet. Selbstverständlich wurden verschiedene, in vielen Fälle auch kleinere Projekte im FTTHBereich initiiert, die von einem privaten Netzbetreiber aufgebaut beziehungsweise  kommerzialisiert wurden: 

❚ Netcologne eines der bedeutendsten FTTX Projekte in Deutschland. Beginn 2006, geplante Investition: 125 Millionen, Serviceprovider mit 100 MBit/s-Diensten, Anschluss von 26.000 Gebäuden (234.000  Wohnungen), 70.000 Kunden und Unternehmen im Dezember 2009, 30.000 Gebäude (270.000 Wohnungen) bis 2013 geplant.
❚ M-Net (München) 60 Prozent der Gebäude in München bis 2011 geplant, Netzaufbau: Huawei, Test in Augsburg mit 6.300 Haushalten, Ziel: 40.000 Gebäude und 300.000 Haushalte sollen bis 2013 erschlossen werden. 
❚ Hansenet (Hamburg) Anschluss von 15.000 Gebäuden und 100.000 Haushalten geplant, Investition: rund 50 Millionen (Oktober 2007). 
❚ Willy.tel (Hamburg) 600 Kilometer Glasfaser-Infrastruktur, 215.000 Haushalte sollen erschlossen werden.
❚ Wilhelm.tel (Norderstedt) 530.000 Haushalte, 18.000 Gebäude sollen verbunden werden.
❚ KPN International (Stuttgart) „Glasfaser Direkt“ Dienste in mehreren Regionen in ganz Deutschland.
❚ Deutsche Telekom (Dresden) GPON-FTTBPilotprojekt, 27.000 Haushalte in 3.500 angeschlossenen Gebäuden geplant.
❚ Kabel BW (Heilbronn) 3,5 Millionen Haushalte bis Mitte 2010 geplant, Umsetzung des Docsis 3.0-Standard. 
❚ Unitymedia (Köln und Aachen) neue Dienste für Privatkunden, Download-Geschwindigkeiten bis zu 120 MBit/s, Umsetzung des Docsis 3.0-Standard über Kabelnetz. 



Fazit

Deutschland scheint sich im Gegensatz zu anderen europäischern Ländern nur zögerlich und vereinzelt der Notwendigkeit einer flächendeckenden Open-Access-Initiative im Bereich FTTH bewusst zu sein. In der Tat sind die verschieden definierten Breitbandstrategien noch weit entfernt von der ganzheitlichen Vision eines öffentlichen Netzes, wie wir es bereits aus anderen Märkten kennen. Private und regionale Akteure scheinen allerdings sehr engagiert, und eine wachsende Anzahl von FTTH-angeschlossenen Haushalten sind gesichert. Es stellt sich die Frage, ob die Besonderheiten des deutschen TK- und Breitbandmarktes – hohe Anzahl regionaler Carrier, Kapitalbeteiligung der regionalen beziehungsweise kommunalen  Energieversorgungsunternehmen – dazu führen können, dass der FTTH-Markt sich dynamisch ohne die
Impulse durch öffentliche Initiativen und Open-Access-Netze entwickeln kann. (CR).

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